Mein Handy-Wecker schreckt mich aus mei-nem Tiefschlaf. Es ist vier Uhr dreissig. Eine halbe Stunde später stehe ich in kurzen Ho-sen, T-Shirt und Badeschuhen am Strand vor unserem Hotel und
warte auf Mr. Danny. Es ist stockdunkle Nacht. Alles schläft noch. Nur ein gleichmässiges Rauschen kleiner Brandungs-wellen und das Gezwitscher von ein paar früh-aufstehenden Vögeln ist zu hören. Sonst ist es so ruhig,
wie die ganzen letzten Tage noch nie. Denn bis anhin wurden wir von einem nahege-legenen Kloster aus sechs Tage lang und zwar praktisch rund um die Uhr mit Sprechgesang be-tender buddhistischer Mönche beglückt. Und damit auch
ja Alle ihre Gebete hören konnten, ver-breiteten die Mönche ihren Singsang über wattstarke Boxen. So wurde die letzten Tage die ge-samte Hotelanlage, wie auch das kleine, umliegende Dorf Tag und Nacht beschallt. Diese schon fast
vertrauten Betgesänge waren diesen Morgen komplett verstummt.
Seit ein paar Jahren führt Mr. Danny zusammen mit seiner Familie ein kleines Fischrestaurant etwa 200 Meter von unserer
Hotelanlage entfernt. Als wir vorgestern bei ihm zu abend assen, erklärte uns Mr. Danny in ansprechend gutem Englisch, er habe früher in unserem Hotel «Amaz-ing», an der Rezeption gearbeitet. Offenbar betrachteten wir die Menükarte etwas kritisch. Auch waren wir uns nicht ganz schlüssig, was wir bestellen wollten. Auf jeden Fall sah dies Mr. Danny, der kurzerhand reagierte und uns einlud, einen Augenschein von
seiner Küche und seinen frisch gefangenen Fischen zu machen. Im Fachjargon würde man dies vermutlich als vertrauensbilden-de Massnahme bezeichnen. Als früheren Hotelangestellten eines sehr guten Sternehotels wusste Mr. Danny, dass Nicht-Burmesen
und insbesondere Europäer, etwas empfindlichere Mägen ha-ben, als Einheimische. Also zeigte er uns wo und wie er seine frischen Speisen zubereitet. Das hat mich sehr beeindruckt. So etwas ist nachahmenswürdig und könnte man durchaus auch
in unse-ren Gaststuben einführen. Überrascht war ich dann aber, wie einfach die Küche aussah, in der er zusammen mit seiner Familie all' diese Speisen zubereitete. Ein kleiner Herd, ein paar zerbeulte Kochtöpfe auf den Platten
und an der Wand darüber und daneben etwas heisse Holzkohle in ei-nem Metalltrog. Darauf grilliere er seine Fische, sagte uns Mr. Danny. Die frischen Fische, die er uns zeigte, lagen in einer Frigolit-Box auf Eis gelegt. Und die fast im Freien gelegene,
kleine Kü-che sah sauber und ordentlich aus. Mr. Danny’s Restaurant heisst «Golden Fish». Nomen est omen. Wenn es hier keinen frischen Fisch gab - wo dann?
Dann erklärte uns Mr. Danny, er habe ein eigenes Boot und er gehe selber fischen. Er zeigte uns einen Teil seiner Angelausrüstung, welche im Restaurant an der Wand hing. Als
ich schliesslich die auf Eis gelegten, grossen, stromlinienförmigen und frisch aussehenden Barakudas sah, war mir klar, mit meinem Namensvetter würde ich unbedingt gerne fischen gehen.
Diejenigen, welche mich etwas besser kennen wissen, ich bin nicht
nur ein leidenschaftlicher Pilzsammler, sondern auch ein Hobby-Amateur-Fischer - ohne Ausrüstung und ohne besondere Angel- und Fischkenntnissen. Damit gehöre ich zu der Sorte Fischer, welche für deren Anglerglück auf einheimische und
erfahrene Fischer angewiesen sind. So sassen wir also vorgestern abend in Mr. Danny’s Restaurant, assen feinen Barakuda, Red Snapper und Makrele, tranken das eine oder andere Myanmar-Bierchen und redeten über das «Angler-Fieber»,
das mich soeben gepackt hat-te. Marion brauchte ich nicht viel zu erzählen. Da kennt sie mich schon zu lange und zu gut. Und Kerstin und Jessica waren von meiner Idee sofort begeistert. So träumte ich nicht nur an diesem Abend, sondern auch
die kommenden beiden Nächte von meinem grossen Fang und vom ge-meinsamen Fischessen bei Mr. Danny.
Den Preis für das ganze Boot, das Datum, den Zeitpunkt und den Abfahrtsort hatte ich mit Mr. Danny schnell ausgehandelt. Mit Touristen zum Angeln fahren, macht Mr. Danny offenbar nicht zum ersten
Mal. Zu schnell kamen seine Preisvorstellungen. Auch das anschliessende Mittag-essen, bzw. das Verspeisen der gefangenen Fische sei im Preis inbegriffen, fügte er an - für alle Vier, wohlverstanden. Eigentlich hätten mich Kerstin, Jessica und
Marion zum Angeln begleiten können. Der Preis wäre derselbe gewesen. Zahle ich doch fürs ganze Boot. Doch keine der Frauen liess sich überreden. Also stehe ich heute früh alleine am Strand und warte auf Mr. Danny.
Zusammen mit einem Freund wartet er mit einem Korb voller Angelsachen am Strand und winkt mich herbei. Mit einer Taschenlampe leuchtet er aufs Meer hinaus und gibt einem Boot Zeichen, das daraufhin langsam
zu uns an den Strand fährt. Um zehn nach Fünf sitze ich in einem sehr schmalen und etwa sieben Meter langen Holzboot mit einem eher PS-schwachen Aussenbord-motor und sehr langem Gestänge, an dem eine Bootsschraube sitzt. Bei jeder
Gewichtsverlage-rung neigt sich das Boot beträchtlich gefährlich zur Seite. Ob das nur gut geht? Wir sind am Golf von Bengalen. Das Meer ist hier äusserst flach abfallend, nicht besonders tief und ziemlich ruhig. Das ist auch
gut so. Denn grossen Wellengang möchte ich in einem solchen Boot auf keinen Fall erleben. Während wir so in die pechschwarze Nacht hinausfahren, sitze ich wie angewurzelt da, um nicht zusätzliche Schaukelbewegungen zu produzieren. Wie auf einer
Schnur aufgereiht, tau-chen am Horizont Lichter auf. Es sind dies Fischerboote, die wir jede Nacht vom Hotelstrand als winzig kleine helle Punkte ausmachen können. Jetzt, wo wir uns den Booten nähern, sehe ich, wieso diese Fischer auf offenem
Meer eine eigentliche «Christbaumbeleuchtung» eingeschaltet haben. Die fischen doch tatsächlich mit Licht. Ob dies bei uns erlaubt wäre? Ich glaube nicht. Zwischen jeweils zwei Booten haben die Fischer ein grosses
Netz gespannt. Auf einem Boot ist an zwei langen Gestängen eine mit mehreren Glühbirnen versehene Beleuchtung montiert, welche das Wasser zwischen den Booten beleuchtet. Auf dem anderen Boot stehen zwölf Fischer, die sich daranmachen,
ein gut gefülltes Netz mit kleinen und kleinsten Fischen einzuholen. Angelockt von diesem Licht sind den Fischern Tausende von Fische ins Netz gegangen.
Wir haben uns an einem der Boote
festgebunden und warten, bis die Fischer ihren Fang einge-bracht haben. Eimerweise schöpfen die Fischer ihren Fang in den Rumpf des einen Bootes, bis der Rumpf randvoll und das Netz leer ist. Dann macht sich Mr. Danny und sein Freund daran,
von diesem Fang für uns einen Eimer Fische und ein paar Calamares auszusortieren. Mit diesen Fi-schen wollen wir auf die Jagd nach grösseren gehen. Wir verabschieden uns von den Fischern und machen uns auf den Weg.
Der Tag bricht langsam an. Eine grosse rote Kugel steigt am Horizont auf. Es ist ruhig und friedlich auf dem Meer. Während der tuckernde Schiffsmotor die Stille durchbricht, klatscht eine Welle nach der anderen gegen unseren
Bug. Vom Strand mit unserem Hotel sind wir mittlerweile fünf-zehn Kilometer entfernt. Über der Küste liegt ein Schleier aus Dunst. Und vor uns nur noch Meer - soweit das Auge reicht. Langsam aber sicher verliere ich meine Orientierung.
Plötzlich zeigt Mr. Danny aufs Meer vor uns. Mr. Danny, sein Freund und der Bootsführer schauen, staunen und wechseln dann ein paar Worte auf burmesisch, die ich nicht verstehe. Ich schaue auch, sehe aber nichts. Habe meine Brille nicht dabei. Abgesehen
davon wäre es eh zu spät gewesen. Schliesslich sagt mir Mr. Danny, dies sei ein Fisch gewesen, der grösser als sein Boot sei. Ich erkundige mich nach der Art des Fisches. Ein Wal, so einer mit einem grossen Blasloch oben, erklärt er mir
in ge-brochenem Englisch. Dass diese Fischer Wale auch zu den Fischen zählen, stört mich in diesem Moment nicht im Geringsten. Dennoch hätte ich diesen Fisch, pardon Wal, auch gerne gesehen.
Dann entdeckt Mr. Danny etwas Weisses auf dem Wasser. Als wir nahe genug sind, erkenne ich es auch ohne Brille. Es ist dies eine Frigolit-Boje. Wir seien hier, sagt Mr. Danny. Hier sei der Platz wo wir fischen würden. Das Meer
sei an dieser Stelle etwa zwölf Meter tief, erklärt man mir. Während wir mit dem Boot grosse Kreise um die Boje fahren, lässt Mr. Danny links und rechts vom Boot zwei Langleinen ins Wasser gleiten. An deren Ende befinden sich künstliche
Köder mit grossen Haken. Eine der Leinen hält Mr. Danny’s Freund und die andere bekomme ich in die Hand. Wir befinden uns auf der Jagd nach Barakudas und Makrelen. Anbeissen will heute aber keiner dieser Raubfische. So sehr wir
es auch versuchen und uns bemühen. Nach und nach tau-chen noch vier weitere Fischerboote auf, welche es ebenfalls mit Schleppleinen versuchen und wie es aussieht auch keinen Erfolg haben. Also versuchen wir es in der Nähe
der Boje mit der klassischen Metholde. Diesmal mit echten Ködern. Von diesem Moment an ziehen wir einen Fisch nach dem anderen ins Boot. White Snapper, Red Snapper, eine kleinere Makrele und eine ganze Anzahl anderer Fische, die ich nicht kenne. Rund
fünfzehn Fische hole ich so aus dem Meer. Einer nach dem anderen. Nach sieben Stunden auf dem Meer kehren wir kurz nach Mittag mit einem Korb voller Fische an den Strand zurück.
Um
13.00 Uhr finden wir uns zu viert im «Golden Fish» ein, wo uns Mr. Danny mit acht feinen, frischgefangenen, auf Holzkohle gegrillten Fischen, einem Berg Klebereis und Gemüse verwöhn-te. Auch ohne die grosse Barakuda-Trophäe,
war für mich dieses Angelerlebnis ein voller Erfolg. Mr. Danny sei Dank!