Reiches, armes Land!
Man könnte genausogut schreiben: «Ein reiches Land steht kurz vor dem Bankrott.»
Wie wir bereits am ersten Tag von Dulgun, dem Juniorchef von Explore Mongolia anlässlich unserer Stadtführung durch Ulanbaatar erfahren, hat die Mongolei eine der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung der Welt. Die Mongolei soll kurz vor dem Staatsbankrott stehen, so Dulgun. Gleichzeitig verfügt die Mongolei aber über gewaltige Bodenschätze. So soll es in der Mongolei nebst Erdöl, Erdgas und anderen Bodenschätzen, die zweitgrössten Gold-, die zweitgrössten Kupfer- und die drittgrössten Kohlevorkommen der Welt geben. Doch auf einem Geld- und Goldberg sitzen, macht noch lange nicht reich. Vor allem dann nicht, wenn die Anderen – gemeint sind die Russen und die Chinesen – einem diesen Reichtum wortwörtlich unter dem Allerwertesten wegstehlen. Dies tönt hart – ist es auch. Besonders für die Mongolen. Um dies zu verstehen, muss man unbedingt die Geschichte und die Machtverhältnisse in dieser Region besser kennen.
Zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert, d.h. zu Zeiten von Dschingis Khan und dessen, vor allem in China genauso berühmten Neffen Kublai Khan, erstreckte sich das mongolische Reich vom Chinesischen Meer (China / Peking) bis zu den Toren Europas am Schwarzen Meer (Türkei / Istanbul). Damals stuften die Mongolen die Völker der Welt in verschiedene Klassen ein. Noch hinter den Arabern teilte Dschingis Khan das Volk der Chinesen in die unterste Klasse Mensch ein, erklärt uns Dulgun. Dies würden ihnen die Chinesen noch heute, Jahrhunderte nach der Ära Dschingis und Kublai Khans, immer noch nicht verzeihen. Dulgun vermutet, dies sei einer der Gründe, weshalb kaum ein Chinese die Mongolei bereise.
Dschingis Khan, der zusammen mit seinen berittenen Kriegern die Welt vor allem mit Pfeil und Bogen erobert hat, soll einmal sinngemäss gesagt haben: «Es ist leicht ein Land zu erobern – jedoch schwer, dieses zu regieren». Wie recht er doch haben sollte. Im Laufe der Jahrhunderte brach das mongolische Grossreich wieder in seine Einzelteile auseinander. Im Süden, Osten und Westen der heutigen Mongolei entstand China, das bevölkerungsreichste Land der Erde. Die über 6'000 Kilometer lange, Chinesische Mauer, nota bene das einzige Bauwerk der Erde, welches auch vom Mond als solches erkennbar ist, haben die Chinesen bereits 1'400 Jahre vor Dschingis Khan errichtet. Dies aus Angst vor Überfällen durch kriegerische Stämme des Nordens, u.a. der heutigen Mongolei. Dies half China dennoch nicht. Dschingis Khan hatte auf der anderen Seite der Mauer verbündete, welche ihm im 12. Jahrhundert Einlass gewährten. Im Norden der Mongolei formierte sich Russland, das mit seinen fast 18 Millionen Quadratkilometern das heute mit Abstand grösste Land dieser Erde ist. Während sich die südlichen und nördlichen Nachbarn zu Weltmächten entwickelten, blieb die 1,56 Millionen Quadratkilometer grosse Mongolei, mit ihren heute nur gerade drei Millionen Einwohnern, in seiner Entwicklung förmlich stehen. Die Mongolei, isoliert und ohne Meeranstoss, sah sich plötzlich von zwei aufstrebenden Grossreichen komplett eingeschlossen.
Zwar rief die Mongolei im Jahre 1923 ihre Unabhängigkeit aus. Doch bereits damals war eigentlich kar, die Mongolei hatte den Wettstreit um die Vormacht in Asien längst verloren. Immer wieder erhoben beide Nachbarn Anspruch auf Teile der Mongolei; politisch letztmals in den 30er Jahren, als die Russen ins Land einmarschierten und Besatzungs- und Schutzmacht spielten. Und wirtschaftlich sind es heute sowohl China, als auch Russland, welche an den enormen Bodenschätzen der Mongolei nicht nur interessiert sind, sondern diese gewissermassen auch für sich beanspruchen. Konzerne beider Länder bauen in der Mongolei Erze, Edelmetalle und Kohle ab. Wobei, wie so häufig in solchen Fällen, nur ein kleiner Teil des Gewinns im Ursprungsland selber verbleibt.
Politisch ist die Mongolei zwar ein eigenständiges und unabhängiges Land. De facto wird das Land aber von Russland und von China gesteuert und regiert. Oder wie Buom treffend sagen würde: «Wenn die Mongolen mit den Chinesen ein Geschäft machen wollen, dann teilt die mongolische Regierung ihre Absichten zuerst den Russen mit. Die Russen verhandeln dann im Hintergrund mit den Chinesen und umgekehrt.» Der Vorteil: Solange diese beiden Nachbarn miteinander reden können und keinen Krieg führen, dürften die Mongolen ihre Unabhängigkeit bewahren können. Um dieses fragile Gleichgewicht zu bewahren, versuchen sich die Mongolen neutral und taktisch klug zu verhalten. Kennen wir doch irgendwie auch von unserer Schweiz. Nur mit folgendem Unterschied: Während wir Schweizer wirtschaftlich attraktiv sein wollen und viel Geld in Technik, Wissen und Wirtschaft investieren, versuchen die Mongolen ihr «Dilemma» mit möglichst wenig Attraktivität und wenig Auffallen zu lösen. Und darüber hinaus überlassen sie ihre gewaltigen Bodenschätze weitgehend ihren mächtigen Nachbarn.
Dies ist letztlich der hohe Preis, den ein reiches, armes Land, für seine Souveränität und Unabhängigkeit bezahlt.