24. Okt, 2016

Von Suzhou nach Hangzhou

Schliesslich haben wir sie doch nicht benötigt - die gut gemeinten Ratschläge von Marolf und Captain Jack Sparrow. Wir haben weder mit unserer "Titanic" Schiff-bruch erlitten, noch hat sich der Yangtse in einen Ententeich verwandelt. (Anmerkung: Auch wir haben Spass, wenn uns Gäste mit witzigen Bemerkungen oder guten Ratschlägen auf unserer Reise begleiten. Man darf selbstver-ständlich unter einem Pseudonym schreiben).

Die kulturgeschichtlichen Gegenden um Peking und Xi'an und die religiösen und eth-nischen Zentren der Provinzen Tibet und Yunnan haben wir hinter uns. Seit der Flussfahrt auf dem Li River vom 17. Oktober wenden wir uns nun einer einfacheren Kost zu - nämlich der Natur und den Landschaften Chinas.  Um "programmfreie" Tage wie den gestrigen sind wir aber trotzdem froh. Solche Tage nutzen wir meist zum Ausschlafen, Kleider waschen und wie soeben - um Berichte zu schreiben.

"Shang you tiantang - xia you Su-Hang". Keine Angst, hier geht es nicht zum Chinesisch-unterricht. Ausser Danke sagen - und den ungläubigen Gesichtern der Chinesen zu entnehmen, spreche ich selbst das eine Wort stets und immer wieder falsch aus - können wir auch nach 35 Tagen China immer noch kein chinesisch. "Shang you tiantang - xia you Su-Hang" ist ein chinesisches Sprichwort und heisst soviel, wie "Oben ist der Himmel, aber auf Erden sind Suzhou und Hangzhou". Bereits Marco Polo soll Hangzhou als die schönste Stadt der Welt bezeichnet haben. Diese beiden Städte haben durch das viele Wasser, die Parks und die gut erhaltenen Altstädte tatsächlich einen gewissen Charme, den andere Grossstädte Chinas sehr vermissen lassen. 

Rund um Suzhou soll es rund 400 Seen geben, sagt uns heute unser 14. Reiseführer, Herr Zhi. Der grösste von ihnen und gleichzeitig der drittgrösste See Chinas, der Tai Hu, habe eine Fläche von 2'500 km2 (1:16 der Schweiz!). Auf einer grossen und langen Brücke überqueren wir gegen halb zehn Uhr den Tai Hu. Schon bald erreichen wir das Wasserdorf Wuzhen. Im Gegensatz zu den nachgebauten Wasserdörfern im Norden Chinas, wo es Mangels Wasser gar nie Wasserdörfer gab, sind diese Wasserdörfer um Suzhou und Hangzhou - laut Zhi soll es sechs davon geben - noch wirklich bewohnt, sind ursprünglich und haben bis zu 300 Jahre alte Häuser. Viele kleinere schön gestaltete Museen zeigen das frühere Leben dieser Menschen. In den Gassen, die, wie könnte es anders sein, mehrheitlich mit einheimischen Touristen überfüllt sind, kann man der einheimischen Bevölkerung bei der Arbeit zusehen. Und noch etwas ganz Wichtiges habe ich hier gelernt. Wie man Reisschnaps herstellt. Das Rezept bleibt mein Geheimnis. Mal schauen, ob ich zu Hause auch so ein Gebräu herstellen kann. Sollte es also in den nächsten Tagen aus unserem Haus etwas streng riechen, dann nicht, weil wir wieder einmal unser Haus so richtig lüften, sondern weil ich Reisschnaps brenne. (Spass!) 🙂

Nach dem Besuch des Wasserdorfes fahren wir nach Hangzhou, wo wir für einmal in einem "Best Western" Hotel, einer Hotelkette, welche wir vor allem aus den USA kennen, untergebracht sind. Morgen haben wir erneut einen programmfreien Tag. Dann geht es nochmals ins Gebirge. Genau genommen ins "Gelbe Gebirge" bei Tunxi/Huangshan.

 

22. Okt, 2016

Pünktlich und doch zu früh!

Die einzige Aufgabe, welche unsere zwölfte Reiseleiterin Jennifer heute hat, ist uns morgens um halb elf Uhr beim Yangtse Staudamm abzuholen, uns zwei Erstklasstickets nach Suzhou auszuhändigen und uns mit dem Auto eine halbe Stunde zum Bahnhof von Yichang zu fahren. Wobei selber steuern, tun unsere Reiseleiter und Reiseleiterinnen die Fahrzeuge nie. Dafür gibt es eigens Fahrer, welche für unsere Transfers und Ausflüge zuständig sind. In der Regel werden wir in geräumigen Grossraumautos, wie Limousinen oder Vans chauffiert. Das klappte bisher perfekt - zumindest bis heute Abend.

Jennifer bringt uns also zum Bahnhof. Zuvor decken wir uns in Yichang noch mit etwas Lebensmitteln und frischen Früchten ein. Denn die gut 1'000 Kilometer lange Bahnfahrt in einem der schnittigen Schnellzüge Chinas soll ganze sieben Stunden und dreissig Minuten dauern. Dies bei etwa acht bis zehn längeren Stopps. Und das Essen im Speisewagen sei nicht besonders, sagt uns Jennifer. Zusammen mit der Anreise aus der Mongolei wird dies nun unsere vierte Zugfahrt auf dem grössten Eisenbahnnetz der Welt sein. Von den insgesamt 90'000 Kilometern Schienen, werden wir heute den knapp Achttausendsten unter die Räder nehmen. Und am 27./28. Oktober erwartet uns noch eine kurze Zugfahrt von gut 400 Kilometern.

Besonders erwähnenswert ist Chinas Sicherheitsdispositiv an den Bahnhöfen. Es ist mit demjenigen an den Flughäfen nahezu identisch. So muss man, um überhaupt in eine Bahnhofshalle zu gelangen, sämtliches Gepäck auf ein Rollband legen, wo es durchleuchtet wird, während man sich selber einer Leibes- und Personenkontrolle zu unterziehen hat. Parall dazu werden Ausweis- und Ticketkontrollen vorgenommen. Jetzt ist man aber erst in der Bahnhofshalle. Dort findet man nun Anzeigetafeln, welche ähnlich, wie bei uns im Westen, Zugnummern, Abfahrt und Bestimmungsort und die Abfahrtszeit angeben. Nur, während wir im Westen ungehindert zu den Geleisen marschieren können, müssen Chinas Bahnreisende so lange in der Abfertigungshalle warten, bis der Zug auf dem Geleise bereitsteht. Dann heisst es beim richtigen Gate einstehen und warten, bis die Gäste zum Einsteigen aufgerufen werden. Nun müssen die Tickets mit den reservierten Sitzen nochmals vorgewiesen werden, bevor man sich zum Zug begeben darf. Und hier geht die Kontrolle weiter. Vor jedem der numerierten Wagen steht ein Zugbegleiter oder eine Zugbegleiterin, welche kontrolliert, ob man auch den richtigen Zug und den richtigen Wagen besteigt. Unsere heutige Zugbegleiterin - wie der Name bereits so schön sagt - begleitet uns dann auch noch bis zu unseren vorreservierten Plätzen.

Obwohl Jennifer nicht mit uns nach Suzhou fährt, darf sie uns kurz in die Wartehalle des Bahnhofs begleiten und uns zeigen, wo das Gate und die Anzeigetafeln sind, auf die wir zu achten haben. An den Flughäfen, wie auch an den Bahnhöfen sind Destinationen und Abfahrtszeiten in aller Regel nicht nur auf chinesisch, sondern auch auf englisch angeschrieben. Auch viele Durchsagen erfolgen in einem guten Englisch. Wer also über etwas Englischkenntnis verfügt, sollte sich an Chinas Flughäfen und Bahnhöfen relativ gut zurechtfinden. Vorausgesetzt, man schafft es überhaupt bis dorthin. Denn das grössere Problem ist, kaum ein Taxifahrer den wir bisher getroffen haben, versteht englisch. In der Regel nicht einmal Wörter, wie "airport" oder "railway station". Da habe ich auch schon mal meine Arme zu Hilfe genommen und den "fliegenden Vogel" nachgeahmt. Eine solche Zeichensprache, zusammen mit unserer Vollpackung, verstehen dann selbst wenig sprachgewandte Taxifahrer. Doch in der Regel haben wir hier in China keine solchen Probleme. Denn entweder sind unsere Transfers in der von uns gebuchten Rundreise eingeschlossen oder unsere Reiseführer organisieren uns vor unserer Abreise einen entsprechenden Transport oder man schreibt uns zumindest die nötigen Stichwörter auf chinesisch auf. Denn lesen und schreiben können sie - die Taxifahrer.

Wir haben noch fast zwei Stunden Zeit, bis unser Zug fährt. In der Wartehalle erkläre ich Jennifer, wie einfach wir im Westen einen Zug besteigen können; keine Kontrollen, kein Vorweisen von Sitzplatzreservationen und (wer betrügen will) auch ohne Billet. Jennifer erklärt uns, das sei bei ihnen früher auch so gewesen. Als es jedoch an Bahnhöfen Anschläge gegeben habe, habe man in ganz China diese Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Ob Jennifer damit auch Anschläge in China gemeint hat und falls ja, wann und wo diese geschehen sind, habe ich sie vergessen zu fragen. 

Doch Eines ist gewiss: Die lästigen Kontrollen, Checks und Abtastereien haben letztlich auch etwas Gutes. Sie bieten den Bahnreisenden ein hohes Mass an Sicherheit und Ordnung. Und wie wir unlängst wissen, wird in China Sicherheit und Ordnung ziemlich gross geschrieben. Exakt um 13.33 Uhr, d.h. mindestens so pünktlich wie eine Schweizer Uhr, verlässt Zug D3074 Yichang mit Endziel Shanghai. Der Zug beschleunigt bis auf gut 200 Stundenkilometer. Ausserhalb der Stadt wird es zusehends ländlich. Reis- und Gemüsefelder wechseln sich mit vielen Karpfenzucht- und Lotosblumenteichen. Uns gegenüber sitzen zwei Chinesen. Beide schauen über Stunden kaum auf. Sind sie doch mit dem grössten, bzw. dem kleinsten Lieblingsspielzeug, welches ihnen das 21. Jahrhundert beschert hat, beschäftigt. Dem Handy. Brennend interessieren würde mich, wieviele Milliarden Handys in China  tagtäglich in Betrieb sind.

In knapp acht Stunden sollte uns aber ausgerechnet diese Technologie noch sehr hilfreich sein.

Wir vertreiben uns unsere Zeit im Zug - ganz China untypisch - mit lesen, Karten spielen, schlafen und essen. Wobei Karten spielen können Chinesen auch. Sie verwenden dazu die französischen Jasskarten. Und beim Essen halten die Chinesen ganz und gar nicht zurück. Kurz vor 21 Uhr erreichen wir dann Suzhou. Wir steigen aus und begeben uns zum Bahnhofausgang, so, wie wir dies immer tun. Im Wissen darum, dass wir hier von unserer nächsten Reiseführerin abgeholt werden, welche uns zum Hotel Jasmin (gehört zur Holiday In-Kette) bringt. Die Bahnhöfe Chinas sind in der Regel gross. Auch derjenige von Suzhou ist so einer. So besitzt Suzhou einen nördlichen, wie auch einen südlichen Ausgang. Wir schauen nach links und rechts. Niemand hält ein Schild auf mit unseren Namen drauf. Auf gut Glück begeben wir uns zum nördlichen Ausgang. Ausser Taxifahrern, welche uns ihre Dienste anbieten wollen, wartet hier niemand auf uns. Die Halle ist um diese Zeit fast menschenleer. Es stehen lediglich noch ein paar junge Männer herum, welche dasselbe tun, wie unsere beiden Nachbarn im Zug; d.h. entweder auf deren Handy glotzen oder damit telefonieren. Ich spreche den Erstbesten auf Englisch an und frage ihn, ob es hier noch einen anderen Ausgang aus dem Bahnhof gäbe. Wir würden nämlich auf einen Guide warten, der uns hier abholen sollte. Er sagt uns, ja auf der anderen Seite sei der südliche Ausgang. Bevor wir uns bedanken und verabschieden können, frägt er uns, ob wir eine Telefonnummer von unserem Reiseführer hätten. Selbstverständlich haben wir dies. Unser Chinaprogramm, das uns Herr Kost von Hauger Reisen in Luzern vor unserer Abreise überreicht hat, ist ausgezeichnet. Es ist detailliert und mit allen Adressen und Telefonnummern von unseren Hotels und den lokalen Reisebüros versehen. Ich nehme das Programm zur Hand und zeige dem jungen Chinesen, der im Übrigen ganz ordentlich englisch spricht, die Telefonnummer der Reiseleiterin. Dieser tippt kurzerhand die Nummer in sein Handy, redet mit der Reiseleiterin und gibt mir dann sein Telefon, damit ich mit der Dame am anderen Ende selber sprechen kann. Die Chinesin spricht sehr gut deutsch. Zuerst ist sie überrascht, dass wir bereits in Sozhou sind. Sie entschuldigt sich und sagt, sie sei ganz in der Nähe und bald bei uns. Wir bedanken uns beim hilfsbereiten Chinesen, der für seine Dienste kein Geld annehmen will und verabschieden uns. Gut zwanzig Minuten später taucht sie dann auf - unsere Reiseleiterin. Sie entschuldigt sich nochmals in aller Form. Sie zeigt uns ein Papier, worauf Zugnummer D2209 steht. Sie habe uns mit diesem Zug erwartet. Dieser würde um 21.45 Uhr in Suzhou eintreffen. Das Reisebüro in Yichang hätte ganz vergessen ihr mitzuteilen, dass wir mit einem früheren Zug ankämen, als ursprünglich vorgesehen. So zumindest ihre Version.

Langer Rede kurzer Sinn. So sind wir heute mit unserem Zug Nr. D3074 in Suzhou zwar extrem pünktlich - für unsere Reiseführerin vor Ort - jedoch zu früh eingetroffen.

22. Okt, 2016

Anders und Alles eine Spur grösser!

Ein Schweizer, der noch nicht viel von der Welt gesehen hat, glaubt in Zürich, Bern, Basel oder Genf in einer Grossstadt zu sein. Doch für Chinesen, welche in ihrem Land mit ganz anderen Dimensionen rech-nen, sind unsere Schweizerstädte nichts mehr als grössere Einkaufszentren oder bestensfalls mittelgrosse Dörfer.

Übrigens: Shoppen gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen der Chinesen.

Unsere Reiseführerin Jennifer, welche uns heute vom Yangtse-Staudamm zum Bahnhof von Yichang begleitet, erklärt uns, in China gelten Städte bis zu einer Einwohnerzahl von vier Millionen als klein. Zwischen vier und sechs Millionen seien es mittelgrosse und erst ab einer Bevölkerung von sechs Millionen würden sie von Grossstädten reden. Als ich ihr die Einwohnerzahl der Stadt Luzern von 50'000 bis 60'000 nenne, lächelt sie. Soviel hätten bei ihnen kleinere bis mittlere Dörfer, meint Jennifer.

Und der Staudamm, den wir heute Morgen nach dem Frühstück, gewissermassen als Dessert, besuchen, der ist sowas von gigantisch, dass man dafür nur noch Superlativen kennt. (Foto: Blick auf die unteren der fünf "Schiffstreppen" / Schleusen). Die Daten zum Yangtse-Staudamm erspare ich mir und auch Euch. Diese lassen sich einfach googeln und in Wikipedia nachlesen. Den Staudamm aber life zu sehen, ist aber dennoch ausgesprochen beeindruckend.

Mindestens so beeindruckend sind in China aber noch ganz andere Sachen. So geht es im bevölkerungsreichsten Land der Erde extrem zivilisiert und gesittet zu und her. So, wie ich es mir vor unserer Chinareise nicht habe vorstellen können. So stehen die Chinesen in der Regel überall anständig an und nirgendwo wird gedrängelt (Ausnahme Strassenverkehr). Auch fühlen wir uns in jeder Stadt Tag und Nacht sicher - ausser beim Überqueren der Strassen. Und das im Westen aufgebaute Bild der lauten und überall auf den Boden spuckenden Chinesen ist eher ein Vorurteil, als Normalität und Wirklichkeit. So können wir dies hier in China unter den vielen Chinesen äusserst selten feststellen. Und wenn, dann wird eher diskret und etwas abseits auf den Boden gespuckt. Darüber hinaus geben sich die Chinesen modern, aufgeschlossen und westlich. Und in vielen Dingen sind sie gar nicht so anders, als wir Westler.

Deshalb erscheinen mir Zensur, die eingeschränkte Meinungsbildungs- und Meinungs-äusserungsfreiheit, das Blockieren von Internetseiten und E-Mail-Accounts (war die letzten Tage des Öftern selber davon betroffen), sowie das Einparteien-System, als Relikte längst vergangener Zeiten. Irgendwie passt das kommunistische System so gar nicht mehr zum modernen China. Wie China künftig den immer grösser werdenden Spagat zwischen der Alles beherrschenden Einparteien-Politik und der modernen und offenen Wirtschaft, sowie zwischen den immer grösser werdenden Luft- und Umwelt-problemen und den steigenden Bedürfnissen seiner Bevölkerung meistern will - ist mir ein echtes Rätsel. Doch bis heute hatten die Chinesen aber noch auf alle Fragen stets eine passende Antwort.

Und im Kopieren gehört China seit Jahrhunderten, und nicht erst seit Rolex, zu den unangefochtenen Weltmeistern. Wer weiss, vielleicht wird China auch einmal in Sachen Umweltschutz "Kopier-Weltmeister"! Zu wünschen wäre es jedenfalls China und der ganzen Welt. Nur Einmischung von Aussen schätzt das offizielle China ganz und gar nicht. Und mit Kritik umgehen, wird den Chinesen nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Um dies zu lernen, braucht China aber weder eine UNO und schon gar keinen Weltpolizisten, wie Amerika. Bei aller Kritik an Chinas Politik muss man den Chinesen unbedingt zu Gute halten. In ihrem Land gibt es ein hohes Mass an Ordnung und Sicherheit. Und wie dies letztlich zustande kommt, steht auf einem anderen Blatt und nicht in diesem Blog.😥

22. Okt, 2016

Lange Nächte!

Ähnlich, wie bei unserem Einschiffen der Titanic-Song von Celine Dion fehl am Platze war, war es dumm von mir, unsere Victoria Katarina mit der Titanic zu vergleichen. Denn zum Einen war die Titanic um Einiges grösser, stabiler und massiver gebaut, als unsere Victoria Katarina und zum Anderen - und das beruhigt mich bedeutend mehr - gibt es auf dem Yangtse wegen des warmen und sehr milden Klimas nicht einen Hauch von Eisbergen. Trotzdem schlafe ich diese Nacht nicht so gut wie in einem unserer Vier- und Fünfsterne Hotels auf unserer Chinareise.

Auf dem Yangtse fahren gleichzeitig Hunderte grosser und noch grösserer Schiffe aller Art. Nebst Kreuzfahrtschiffen sehen wir meist Lastenkähne - bei uns auch Nauen genannt, nur um Einiges grösser - welche, mit Kies und Sand schwer beladen, den Yangtse befahren. Die Nacht hindurch regnet es mehr oder weniger stark. Positionslichter und ein starker Scheinwerfer mit dem unsere Schiffscrew die rechte Küstenseite ausleuchtet, sind alles, was wir in der Nacht von unserem Schiff aus sehen können. Ob der Capitän weiss, wohin er zu leuchten und vor allem zu fahren hat? Gestern Abend sprach er noch beim Capitän's Dinner zu uns. Würde er nicht besser auf der Brücke stehen und nach Hindernissen Ausschau halten? Gewiss, das was uns hier im Weg stehen könnte, sind definitiv keine Eisberge. Dafür das felsige Ufer, oder mindestens so schlimm, ein anderer Kahn der uns entgegenkommt. Und noch etwas stimmt mich nachdenklich und raubt mir meinen Schlaf. Was ist mit dem Staudamm?

1996 wurde mit dem grössten Wasserkraftwerk der Welt begonnen. 2009 wurde es fertiggestellt. Und seit bereits 2006 liefert das Kraftwerk mit seinen 25 gigantischen Turbinen Strom für halb China. Beliefert werden u.a. die Mega-Metropolen Peking, Shanghai, Hongkong und Chongqing. Je nach Jahreszeit sei der Yangtse zwischen 145 und 175 Metern gestaut. Mit dem Staudammprojekt hätten 1,2 Millionen Menschen umgesiedelt werden müssen, erklärt man uns auf dem Schiff. Irgend jemand sagte uns gestern, Wissenschaftler hätten errechnet, dass der Damm zu schwach sei um dem Wasserdruck ewig Stand zu halten. Man rechne allgemein damit, dass der Damm maximal zehn bis elf Jahre halten werde. Und was ist dann? In der Nacht rechne ich nach. Nachdem mir nachts das Denken etwas mehr Zeit in Anspruch nimmt, als am Tage, schlafe ich diese Nacht unruhiger und kürzer, als normal. So rechne ich. Wenn wir von heute zehn Jahre zurückdatieren, dann landen wir exakt im Jahre 2006. Auch wenn der Damm erst 2009 komplett fertiggestellt wurde, so liefert das Kraftwerk doch bereits seit 2006 Strom.

Bei unseren Konsumprodukten, wie unseren Handys - und da trägt bereits Vieles den Namen "Made in Cina" - ist allgemein bekannt, kaum ist die Garantiezeit abgelaufen, gibt entweder der Akku den Geist auf oder etwas Anderes funktioniert nicht mehr. Wer kennt das schon nicht? Was wäre also, wenn gerade heute Nacht die zehnjährige "Garantiezeit" des Yangtse-Staudamms abläuft? Würden wir dann, wie das Kind mit dem Bade ausgeschüttet? Oder so ähnlich? Unser "Dampfer", der sich zurzeit oberhalb und ganz in der Nähe des Staudammes befindet, wäre bei einem Dammbruch wohl schneller in der etwa 1'500 km entfernten Metropole Shanghai, wo der Yangtse ins Chinesische Meer fliesst, als wenn wir von hier dorthin fliegen würden. So schnell wollten wir dann doch noch nicht nach Shanghai.

Auch mit solchen Gedanken kann man sich unruhige Nächte schaffen. Irgendwann bin ich dann doch noch eingeschlafen.

21. Okt, 2016

Erlebnis Yangtse

Das Wasser ist tief grün und die Berge links und rechts sind felsig, steil und meist bis oben bewachsen. Der Himmel ist stark wolkenverhangen, leicht regnerisch und die Hänge mit mystischen Nebelschwaden verschleiert.

Um 11.30 Uhr durchquert die Victoria Katarina die Qutang Gorge, die erste von drei Schluchten. Die meisten Passagiere stehen draussen auf dem fünften und sechsten Deck und tun das, was auch ich gerade tue - nämlich fotografieren und filmen, was das Zeugs hält. In dieser Hinsicht gäbe ich einen perfekten Chinesen ab. Nachdem das erste Schauspiel zu Ende ist, geht es zum Lunch. Um 13.00 Uhr durch-queren wir dann die Wu Gorge (Wu Schlucht). Beim Eingang der Schlucht fahren wir unter einer der riesigen Brücken hindurch. An den steilen Hängen sehen wir wilde Ziegen und vereinzelt Häuser, kleinere Dörfer und ab und zu ein Kloster oder eine Pagode an den Felsen klebend. Um 14.00 Uhr erreichen wir schliesslich die Lesser Gorges. Hier heisst es auf kleinere Boote umsteigen (s. Foto). Sind doch die Lesser Gorges zu schmal für Kreuzfahrtschiffe, wie die Victoria Katarina.

Dieser Streckenabschnitt gehört landschaftlich wohl zum Schönsten, was der Yangtse zu bieten hat. Dünn besiedelt, klare Luft, felsig und wild. Was wollen Naturliebhaber wie wir noch mehr? Zwar lässt sich heute die Sonne nicht blicken. Trotzdem haben wir auf unserem Bootsausflug Glück. Nach dem Regen der letzten Nacht klart schliesslich auch noch das Wetter zusehends auf.