Der Sommer hier in Sibirien ist kurz. Nachdem es die letzten Wochen am Baikalsee trocken und heiss war, kam am 12. August der Kälteeinbruch. Für den heutigen und die kommenden Tage sagen die Meteorologen für
die Baikalregion noch Temperaturen von etwa 16 bis 17 Grad voraus. Uns stört dies nicht. Wir nehmen das Wetter, wie es kommt - bleibt uns ja auch nicht viel anderes übrig. Wie uns Tamara, unsere Reiseleiterin erzählt, habe es in der Gegend
um Irkutsk, am Baikalsee und auf der Insel Olchon vom 12. bis 15. August geschüttet und drei Tage lang durchgeregnet. Die Flüsse seien angeschwollen, Strassen unter- und überspült, so dass an gewissen Stellen keine Autos
mehr fahren konnten und auf der Insel Olchon habe es in diesen drei Tagen mit 82 mm Regen fast halb soviel Niederschlag gegeben, wie es dort normalerweise im ganzen Jahr gäbe.
Nachdem wir gestern auf unserer Stadtführung wettermässig
einen ganz ordentlichen Tag hatten - besonders am Morgen schien noch etwas die Sonne - muss es letzte Nacht relativ kräftig geregnet haben. Denn auf den Strassen liegen riesige Wasserlachen. Heute Morgen ist der Himmel zwar stark bewölkt,
doch es sollte den ganzen Tag trocken bleiben. Wir werden von einem Kleinbus abgeholt und fahren aufs Land hinaus. Wenn man in Sibirien von der Stadt irgendwohin aufs Land fährt, dann heisst dies gleich mal hundert oder zweihundert
Kilometer fahren. Nicht etwa Autobahn, wie bei uns zu Hause. Nein, meist geht es hinter der Stadt ab auf Schotterpisten und hinein in die Taiga, wie die gigantischen Wälder Sibiriens genannt werden. Das Schütteln und Rütteln
der Transsib haben wir hinter uns. Jetzt kommt das Grobe - nämlich Schlaglöcher. Marion und ich, wir sitzen - wie könnte es anders sein - hinten im Bus. Was das heisst, könnt Ihr Euch denken. Die nächsten 80
km brettert der Busfahrer auf dieser mit Wasser und Löcher übersäten Piste dahin. Links und rechts nichts als Taiga und zwischendurch mal ein Dorf.
Auf der Busfahrt erkundigen wir uns schon mal bei Tamara, ob man in diesen
Wäldern zurzeit auch Speisepilze finden könne. Eigentlich wussten wir die Antwort bereits. Denn gestern und vorgestern haben wir auf dem Markt von Irkutsk verschiedene Stände gesehen, wo man Steinpilze, Birkenröhrlinge, Butterpilze und
andere uns unbekannte Pilze verkauft. Es sei jetzt beste Pilzzeit, erklärt uns Tamara. Vorschriften fürs Pilze sammeln, wie Schonzeiten oder Ähnliches, gäbe es hier keine. Und dann geht es los! Zuerst outet sich Tamara als gute Pilzkennerin
und grosse Pilzsammlerin. Sie erklärt uns, wie sie in Sibirien Pilze für den Winter haltbar machen und welche Pilze die Sibirer am liebsten verspeisen und danach zeigt sich auch noch, dass wir Mitten in einer pilzverrückten Wandergruppe
gelandet sind. Mindestens die Hälfte unserer Gruppe geht zu Hause regelmässig Pilze sammeln. Und zwar so das Übliche, wie wir. Steinpilze und alle Arten von "Speise-Röhrlingen", Pfifferlinge (Eierschwämmchen) etc. Als der Bus in der
Taiga - Mitten im Nirgendwo - einmal einen Pipihalt macht, entdecke ich keine fünf Meter vom Bus entfernt bereits die ersten drei Birkenröhrlinge. Es sollten nicht die letzten gewesen sein. Die gefühlte Temperatur steigt gleich mal
um paar Grad an. In unserer Gruppe ist das Pilzfieber ausgebrochen!
Durchgeschüttelt kommen wir nach 135 km nach Goloustnoje, einem direkt am Baikalsee gelegenen Dorf, wo ein paar Hundert Einheimische leben. Hier sind
wir für die nächsten zwei Nächte bei einer Bauernfamilie untergebracht. Alles in Holz gebaut, riechen die Zimmer nach frischem Kiefernholz. Alles ist sauber, aber sehr einfach. Zwei Plumpsklo, eine Banja (Sauna), wo auch mit Eimern geduscht
werden kann und Waschstellen im Freien. Das Wasser dafür kommt aus einem eigenen Brunnen hinter dem Haus. Laut Tamara soll das Wasser sauber sein. Das Wasser wird hier so getrunken, wie es aus dem Boden oder eben aus dem See kommt. Vom Baikalsee wissen
wir, dass dieser beste Trinkwasserqualität hat. Am Nachmittag machen wir uns dann noch auf einen Spaziergang durchs Dorf und vor allem auf den Hügel und in den nahegelegenen Wald hinter dem Dorf. Wozu? Natürlich! Zum Pilze sammeln. Hier finden
wir innert einer Stunde Butterpilze (Butterröhrlinge) in rauen Mengen.
Von Tamara instruiert, geht es dann zu Hause ans Rüsten. Beste Teambildung - wie Tamara nebenbei feststellt. Jeder nimmt seinen Platz in der Gruppe ein. Die Männer
rüsten und die Frauen schauen zu, machen Fotos und bringen den Männern ein Bier - oder auch mal zwei. So sind alle beschäftigt und zufrieden. Dann werden die Pilze von Tamara noch einmal kontrolliert, geschnitten und von Gallina, unserer
Bäuerin, mit Zwiebeln und Rahm gekocht. So ähnlich, wie wir dies auch bei uns zu Hause tun. Das Abendessen ist ein Festschmaus. Einzelne in der Gruppe hätten die Pilze lieber nur mit etwas Zwiebeln angebraten gehabt. Das wollen wir dann
das nächste Mal tun. Es ist Vollmond und die Nacht klar.