3. Dez, 2016

Laguna Margot und Cerro del Medio (Mitteberg)

Gestern regnete es zweimal. Einmal vom Mor-gen bis am Mittag und einmal vom Mittag bis am Abend. 🙂

Um solche Schlechtwettertage bin ich gerade-zu froh. Mag vielleicht etwas komisch klingen. Doch es sind genau diese Tage wo ich meine nötige Zeit finde an meinen Berichten zu schreiben, meine Fotos zu sichten und das Ganze auch noch homepagetauglich aufzube-reiten.

Also gestern war wieder einmal so ein Tag. Und heute – ja heute zeigt sich das Wetter wieder von seiner freundlichen Seite. Und das heisst: es ist wieder wandern angesagt. Nach den letzten zwei Tagen, wo wir insgesamt 25 Kilometer Terra del Fuego erwandert haben, dürften heute nochmals 18 Kilometer dazukommen. Für einmal machen wir eine Wanderung, welche uns keinen einzigen Pesos kostet. Laut Rother Wanderführer startet die Wanderung zum Cerro del Medio und zur Laguna Margot gleich am südlichen Ende von Ushuaia beim gleichnamigen Hotel Ushuaia.

In unserem Hotel konnte oder wollte man uns diese Wanderung nicht beschreiben und schon gar nicht empfehlen. Er sei erst einmal dort gewesen, sagt uns der Herr am Empfang. Gleichzeitig fügt er an, der Weg sei im Gegensatz zu den Wanderungen zur Laguna Esmeralda und dem Cerro Guanaco schlecht, bzw. gar nicht markiert und er führe über Privatgrundstücke. Er rät uns ab, diese Wanderung zu machen. Trotzdem, in unserem Wanderführer ist die Wanderung zur Laguna Margot und zum Cerro del Medio beschrieben. Und wir haben uns nun mal in den Kopf gesetzt diese auch zu machen. Also tun wir es.

Die Hosteria America, wo wir wohnen, befindet sich ganz im Osten und das Hotel Ushuaia, wo der Einstieg zur Wanderung sein soll, liegt ganz im Westen der Stadt, rund 3 Kilometer von unserer Hosteria entfernt. Also durchqueren wir heute zum x-ten Male Ushuaia – diesmal zügig und nicht wie üblich schlendernd. Beide Rucksäcke sind gepackt. Marions mit Proviant, Regen-schutz und Wanderstöcken und meiner – mit was wohl? Richtig. Weitgehend mit der schweren Fotoausrüstung und einer Flasche Mineralwasser.

Das Hotel Ushuaia steuern wir relativ leicht an. Es liegt ganz am südlichen Ende der Av. Lasserre. Bei der Kreuzung Av. Magellanes in die Lasserre links einbiegen und bis zu deren Ende folgen. Beim Hotel wird es dann kompliziert. Die Beschreibung im Wanderführer ist trotz mehrmaligem Lesen nicht klar und eindeutig genug. Trotz Passanten fragen, finden wir den Einstieg zur Wan-derung lange nicht. Wir verlaufen uns, kehren zurück und machen einen Umweg von mindestens einem Kilometer. Wer diese Wanderung machen will, dem sei gesagt, der Einstieg befindet sich nach der steilen Hotelzufahrt. Das Hotel Ushuaia rechts liegenlassen; dann noch rund 200 Meter der «Quartierstrasse» folgen. Auf der Höhe, wo eine weitere, noch kleinere Quartierstrasse links abgeht, ist rechterhand ein Holzschild mit gelber Markierung auf dem der Sendero del Medio angegeben ist. Dort geht es über eine kleine Brücke (Bach) relativ steil den Hang hinauf. Ab hier ist der Weg gelb markiert und kaum mehr zu verfehlen. 300 Meter weiter auf einer Höhe von 165 m.ü.M. kommt eine Naturstrasse und links ein verschlossenes Tor und ein kleiner offener Durch-gang, wie eine Türe (s. Foto/Fotoalbum). Am Tor und über dem Durchgang steht, dass dies Privat-grund und der Zutritt verboten sei. Wanderwegzeichen suchen wir vergebens. Zwei Tafeln mit der Aufschrift «Sendero del Medio» lagen heute irgendwo am Boden und nur nicht dort, wo sie vermutlich hingehören würden; d.h. angenagelt an einen Pfosten. 

Also, um zur Laguna Margot bzw. zum Cerro del Medio zu gelangen, muss man auf jeden Fall durch dieses Tor auf den Privatgrund. Aber Achtung: nicht geradeaus der Naturstrasse folgen. Hier haben wir uns nämlich verirrt und sind mindestens 800 Meter dieser Strasse entlang gegan-gen, ohne weitere Wanderwegzeichen zu entdecken. Zurück beim Tor sehen wir, dass unmittel-bar bei diesem rechterhand ein Weg in den Wald hineinführt. Erst etwa zwanzig Meter im Wald kommen die nächsten gelben Wanderwegmarkierungen. Ab jetzt kann man den Weg zur Laguna Margot eigentlich nicht mehr verfehlen.

Wir haben wieder einmal einen Begleithund dabei. Eine schwarze Labradorhündin. Zumindest sieht sie einem Labrador sehr ähnlich, wie die Fotos zeigen. Sie begleitet uns seit wir das Hotel Ushuaia passiert haben. Zuerst beachten wir die Hündin nicht; denken sie würde irgendwann einmal umkehren; doch Nichts dergleichen. Und anstatt uns den Weg zu zeigen, rennt sie lieber kreuz und quer durch den Wald, sucht etwas Fressbares oder jagt Vögel. Zwischendurch haben wir das Gefühl, wir hätten den Hund verloren. Doch dann taucht die Hündin wieder auf, rennt einer Dame nach, welche den steilen Wald hochjoggt, wartet dann wieder auf uns oder kommt uns abholen. Der Labrador scheint noch sehr jung zu sein. Auf jeden Fall ist er sehr verspielt; gräbt Wurzeln aus oder sucht Stöcke, bringt sie uns, legt diese auf den Boden und will sie dann aber doch nicht hergeben. Und wenn ich einen der Stöcke trotzdem erwische und ihn werfe, rennt sie ihm hinterher und bringt ihn zurück. 

So wandern wir durch den Wald immer höher. Der erste Teil des Waldes ist noch relativ flach, dafür an einigen Stellen morastig und sumpfig. Sicher zum einen, weil es gestern lange geregnet hat und zum anderen, weil Rinnsale und kleinere Bäche den Weg des geringsten Widerstandes nehmen und hierfür mitunter den Wanderweg wählen. Ab einer Höhe von 425 Metern über Meer wird der Wald steiler und tendenziell trockener. Ab hier fehlen die Wegmarkierungen ganz. Doch das ist weiter nicht tragisch, gibt es doch nur diesen einen Weg. Auf einer Höhe von 630 Metern erreichen wir nach einer 3 km langen Waldwanderung die Wald- und Baumgrenze. Vor uns öffnet sich ein wunderbarer Blick in eine tolle Bergwelt. Und hinter uns ein ebenso phantas-tischer Blick auf Ushuaia und den Beagle Kanal. Linkerhand erhebt sich der Cerro del Medio. Wie die anderen Berge heissen, wissen wir nicht. Es gibt da noch die dos Banderas und einen Roy oder Fitzroy. Nicht zu verwechseln mit dem Fitzroy Patagoniens.

Die Berge sind frisch verschneit. In der Nacht hat es bis auf eine Höhe von etwa 500 Metern geschneit. Zwar nur wenig, doch es reicht um den Eindruck einer verzuckerten Landschaft zu bekommen. Ab Baumgrenze geht nun der Weg zur Laguna Margot alles der Bergflanke des Cerro del Medio entlang. Rechts unten rauscht ein kleiner Bach, der ganz aus der Nähe der Laguna kommt. Ab hier ist der Weg meist gut erkennbar und wo nicht, stehen zur Orientierung alle zwan-zig bis fünfzig Meter Steinmännchen. Die Laguna Margot befindet sich auf einer Höhe von 870 Metern. Von der Baumgrenze sind es exakt 1,2 Kilometer bis zur Lagune. Vor der Laguna - auf einer Höhe von 770 Metern – befindet sich rechterhand in einer Senke ein kleines Seelein – mehr ein kleiner Schmelzwassertümpel. Dies ist definitiv noch nicht die Laguna Margot. Die Laguna sieht man erst, wenn man unmittelbar vor ihr steht. Liegt sie doch hinter einem Steinwall gut ver-steckt.

Nach 8,5 Kilometern; davon rund 1,5 Kilometer Umweg, erreichen wir die Laguna Margot. Wir und unser Labrador sind Mutterseelen alleine hier. Kein Tourist und kein Wanderer weit und breit. Wir essen unseren Lunch und geben einen Teil an unseren Labi ab. Der schwimmt zuerst eine Runde in der eiskalten Lagune, frisst etwas Wurst und Käse. Und das was er nicht frisst, vergräbt er wie ein Weltmeister unter Steinen oder im Schnee. Von hier wären es auf den Cerro del Medio laut unserem Wanderführer noch gut eine halbe Stunde. Doch in Anbetracht dessen, dass der Berg verschneit ist und wir bereits 8,5 Kilometer und 1'000 Höhenmeter gemacht haben, lassen wir dies für heute. Wir kehren um und wandern auf demselben Weg zurück, den wir ge-kommen sind. Im Schlepptau – oder besser gesagt, vorausrennend unsere Labradorhündin.

Unten in der Stadt begleitet sie uns weiter. Erst, als wir uns für längere Zeit in ein Reisebüro begeben, um für den 27. Dezember eine Busfahrt von San Carlos de Bariloche (Argentinien) nach Puerto Montt (Chile) zu buchen, geht der Labi wieder seine eigenen Wege. Wir sehen ihn noch vor einer Parkbank liegen. Auf der Bank sitzt eine Mutter. Vor ihr hat sie einen Kinderwagen. Wer weiss, vielleicht sind das die nächsten Glücklichen, welche in den Genuss einer Hundebegleitung kommen. Doch sei Dir gesagt, eine so schöne und abwechslungsreiche Bergtour wie mit uns, macht diese Mamma bestimmt nicht mit Dir! Und Dein Besitzer - falls Du einen hast - kann sich heute den Spaziergang mit Dir auf jeden Fall sparen!

30. Nov, 2016

Cerro Guanaco (Guanacoberg)

Etwa 12 Kilometer von Ushuaia entfernt, be-findet sich der Parkeingang zum Nationalpark Tierra del Fuego. Der Park mit einer Fläche von 630 km2 erstreckt sich von der chilenischen Grenze am Beagle-Kanal bis zum Fagnanosee.

Wir schauen aus dem Fenster. Uns präsentiert sich eine für diese Region typische Wettersi-tuation. Etwas Sonne, die Berge in Wolken gehüllt und grosse Kumuluswolken über Ushu-aia und dem Beagle-Kanal. Das Gute daran: ein mässiger Wind aus westlicher Richtung treibt die Wolken zügig weiter. Der Tag verspricht schön zu werden. Zumindest prophezeien dies gleich mehrere Internet-Wetterfrösche. Und denen wollen wir einmal mehr Glauben schenken.

Nach einem ausgiebigen Frühstück machen wir uns um 08.30 Uhr auf zum kleinen Busbahnhof am Hafen. Ab dort fahren stündlich Minibusse verschiedener Organisationen in den Tierra del Fuego Nationalpark. Der Preis für eine Hin- und Rückfahrt scheint bei allen Organisationen gleich zu sein. Er beträgt 400 Pesos, etwa 25 Euros pro Person. Im Preis inbegriffen sind die 12 km lange Fahrt zum Parkeingang, sowie rund 13 km innerhalb des Parks. Aussteigen kann man an ganz verschiedenen Orten. Je nachdem, welchen Teil des Parks man besuchen und erwandern will. Für heute wählen wir den Cerro Guanaco. Diese Gebirgstour innerhalb des Nationalparks wird als eine der schönsten beschrieben.

Damit wir aber den Cerro Guanaco besteigen können, müssen wir beim Parkeingang als Erstes noch pro Person eine Eintrittsgebühr von 210 Pesos (ca. 13 Euros) bezahlen. Argentinier (Ein-heimische) bezahlen 100 Pesos. In unserem Rother Wanderführer «Patagonien», der laut Berg-verlag 2016 das dritte Mal überarbeitet wurde, stimmen die Preisangaben bei Weitem nicht mehr. So sind dieselben Touristenbusse in den Terra del Fuego Nationalpark für die wir für eine Hin- und Rückfahrt 400 Pesos berappen mussten, im Wanderführer noch mit 150 Pesos angege-ben. Also mit weniger als der Hälfte. Entweder hat in den letzten Monaten in Argentinien die Inflation extrem grassiert und die Preise haben einen gewaltigen Sprung gemacht oder unser Wanderführer wurde 2016 nicht gewissenhaft überarbeitet.

Wir steigen bei der Haltstelle Lago Roca aus. Hier befindet sich auch ein grösseres Restaurant, wo man sich verpflegen und allenfalls aufwärmen kann. In den Bergen hängen zwar noch etwas Wol-ken. Doch das Wetter wird zusehends freundlicher. Der erste Kilometer geht entlang der staubi-gen Strasse zum letzten Autoparkplatz; dann ein weiterer Kilometer auf dem Sendero Hito am Lago Roca entlang in Richtung chilenischer Grenze. Schliesslich zweigt der Sendero Guanaco rechts ab. Grosse Tafeln weisen darauf hin, dass dies ein anspruchsvoller Bergweg sei und man den Berg nur in guter physischer Verfassung, mit guter Ausrüstung und bei guter Witterung be-steigen soll. Ab hier werden die vier Kilometer und eintausend Höhenmeter mit einer Gesamtzeit von vier Stunden beschrieben.

Alles im Wald steigen wir auf den ersten knapp 1,5 Kilometern steil bergauf und machen so 350 Höhenmeter. Der Weg ist mit Distanzangaben und gelben Pfosten sehr gut markiert. Auf einer Höhe von 425 Metern gibt es einen herrlichen Mirador (Aussichtspunkt). Der Blick auf den Lago Roca und das umliegende Gebirge ist bei schönem Wetter, wie heute, einzigartig. Auf dem nächsten Kilometer verschluckt uns der Wald wieder. Kurz vor der Baumgrenze auf etwa 500 Metern über Meer ändern sich Wald und Bäume. So werden die Bäume kleiner und knorriger. Immer häufiger müssen wir über Wurzelgeflecht klettern und um sumpfige und matschige Stellen einen grossen Bogen machen.

Nördlich der Alpen liegt die Waldgrenze bei etwa 1'800 Metern über Meer. Auf Feuerland befin-det sich diese bereits bei rund 600 Metern. Ähnlich verhält es sich mit dem Hochgebirge. Wo auf der Nordseite der Alpen felsiges Gebirge, Schneefelder und Gletscher kaum unter 2'000 Metern anzutreffen sind, starten diese auf Feuerland schon bei 800 Metern über Meer. Und dabei sieht die Bergwelt Feuerlands unserem alpinen und hochalpinen Gebirge sehr ähnlich (s. Fotoalbum).

Auf einer Höhe von 600 Metern über Meer treten wir aus dem Wald. Jetzt sehen wir den Cerro Guanaco, ein «bröckelnder» Schieferberg, zum ersten Mal in seiner ganzen Grösse. Wir über-queren sumpfiges Gelände - eine Art Moor. Und dann geht der Weg an der Flanke des Guanaco steil bergauf. Auf dem letzten Kilometer sind nochmals 250 Höhenmeter zu überwunden. Gefähr-liche oder ausgesetzte Stellen gibt es auf dieser Tour keine. Gewiss, in unseren Alpen gibt es einige weit schönere Gebirgstouren, als dieser Sendero Guanaco. Doch was diesen Cerro Guana-co so ausserordentlich macht, ist der Ausblick oben auf dem Gipfel. Da sieht man von Ushuaia über den ganzen Beagle-Kanal, hinunter zum Lago Roca, viele Fjorde, kleinere Seen und eine gewaltige Gebirgskulisse. Die Wanderung lohnt sich also wirklich nur bei gutem Wetter. Und dann bekommen wir auf dem Gipfel noch etwas ganz Besonderes zu sehen. Ein Zorro (patagoni-scher Fuchs) sucht die Gegend nach etwas Fressbarem ab (s. Fotoalbum). Schon alleine dafür haben sich die Mühen gelohnt, die fast acht Kilogramm schwere Fotoausrüstung auf den Guana-co zu schleppen.

Eine Stunde Mittag- und Fotopause und dann heisst es auf demselben Weg, den wir gekommen sind, wieder hinunterzusteigen. Erst jetzt merken wir, wie steil und rutschig der Berg ist. Auf den ersten beiden Kilometern wären wir froh gewesen, wir hätten unsere Stöcke dabeigehabt. Nur, die haben wir leider im Hotel vergessen.

29. Nov, 2016

Al fin del mundo

Das Klima ist rauh und windig. Nichts mehr mit dreissig Grad im Schatten. T-Shirts und kurze Hosen können wir für die nächsten Wochen getrost tiefer in unsere Rucksäcke packen. So zumindest unser Eindruck, als wir gestern mit einer kleineren Maschine der Aeorolineas Argentinas gegen Mittag in Ushuaia landeten. Der Landeanflug gestaltete sich als ziemlich luftige Angelegenheit.

Die Lufttemperaturen bewegen sich aktuell um die 8 bis 12 Grad und das Wasser aus der Ant-arktis ist mit 8 Grad doch ziemlich frisch. Eindeutig nichts mehr für Warmduscher, wie mich. Die Hosteria Argentina, wo wir für sechs Nächte logieren, befindet sich am westlichen Ende der etwa 60'000 Einwohner zählenden Stadt. Eine wirklich nette und empfehlenswerte Unterkunft. Städte-baulich herrscht in Ushuaia ein einziges und unübersichtliches Chaos. Ausser Hochhäuser und Wolkenkratzer gibt es in Ushuaia so ziemlich jeden Baustil und jede Häusergrösse. Und dies auf engstem Raum - Fassade an Fassade. So stehen neben unscheinbaren kleineren Wohn- und Ein-familienhäusern aus Holz abwechselnd wuchtige viereckige Betonklötze, Einkaufshäuser, kleinere Tante-Emma-Läden, Touristengeschäfte, Restaurants, eine bunte Kirche, Museen oder Reisebü-ros. Das Typische an dieser Stadt ist. Es gibt hier nichts Typisches - keinen Stadtkern, keine wirk-liche Altstadt. Nur vier oder fünf auf dem Reissbrett gezeichnete und parallel zum Baegle Kanal verlaufende Strassen. Ich schätze, in ein bis zwei Stunden hat man die Stadt abgelaufen und gesehen.

Doch wen stört dieses Sammelsurium von Gebäuden schon wirklich? Schliesslich befinden wir uns am Ende der Welt. Und wenn es ein Ende der Welt gibt, dann muss es hier sein. Die Insulaner Ushuaias - durch die Magellanstrasse vom Festland Amerikas getrennt - nehmen auf jeden Fall für sich in Anspruch am Ende der Welt zu leben. Gewiss, Ushuaia ist die südlichste Stadt der Welt. Sie liegt auf dem 54. Breitengrad Süd (54° 48’ S und 68° 18’ W). Doch was ist das schon? Auf der Nordhalbkugel liegen sehr viele Städt weit nördlicher, als Ushuaia südlich liegt. So befindet sich Kopenhagen auf dem 55. Breitengrad Nord. Und wir in der Stadt Luzern bringen es auch schon auf den 47. Breitengrad. Doch lassen wir das und gönnen wir den Ushuaianern ihre clevere Ver-marktung ihrer Stadt am Ar…, pardon am Ende der Welt zu sein.

Wenn Touristen wie wir nach Ushuaia reisen, dann kommen sie in der Regel eh nicht, weil sie unbedingt einmal in der südlichsten Stadt der Welt sein wollten, sondern wegen der wilden Natur, den Bergen, Seen und Gletschern. Oder sie benutzen Ushuaia ganz einfach nur, um von hier aus mit einem der Expeditions- und Kreuzfahrtschiffe in die Antarktis aufzubrechen. Etwas, was wir dann am 5. Dezember tun werden.

29. Nov, 2016

Laguna Esmeralda

Gemäss Wetterbericht sollen morgen und übermorgen die beiden schönsten Tage dieser Woche sein.

Wir wollen diese nutzen um längere Wande-rungen zu machen. Unbeständiges, rauhes, kaltes und oft sehr windiges Wetter gehört auf Terra del Fuego (Feuerland) selbst im Sommer zur Normalität. Man braucht also etwas Wet-terglück, will man am Ende der Welt Gebirgs-wanderungen machen.

Übrigens: Terra del Fuego, was der Name vermuten lässt, hat nichts mit Vulkanen zu tun. Solche gibt es hier weit und breit keine. Der portugiesische Seefahrer gab der Gegend einst diesen Na-men. Hatten ihn doch die zahllosen Feuer überrascht, welche die Ureinwohner zum Schutze der ständigen Kälte unterhielten. Der Archipel selber besteht aus einer Hauptinsel namens Isla Gran-de de Tierra del Fuego und vielen kleinen Nebeninseln. Auf der Hauptinsel befindet sich Ushuaia auf der argentinischen und Porvenir auf der chilenischen Seite. Der Archipel ist politisch in zwei Hälften geteilt. Der westliche Teil gehört zu Chile und der östliche zu Argentinien.

Nachdem bei unserer gestrigen Ankunft die Wolken noch sehr tief hingen und wir auf unserem ersten Spaziergang förmlich durch die Stadt geblasen wurden, klart es heute zusehends auf. Es wird zwar nicht wolkenlos. Doch ein schöner und fast windstiller Tag kündet sich an. Wir wollen heute zur Laguna Esmeralda wandern. Diese Esmeralda-Wanderung gibt es geführt für rund Fr. 100.00 pro Person. Doch das lässt sich weit preiswerter selber organisieren. Denn die Hotels in Ushuaia haben ein Abkommen mit einem Busunternehmen. So können sich Hotelgäste praktisch stündlich bei ihrem Hotel abholen und beim Einstieg der Wanderung (Valle de Lobos / Wolfstal) rund zwölf Kilometer von Ushuaia entfernt, absetzen lassen. Während der Hinfahrt vereinbart man mit dem Fahrer gleich den Zeitpunkt wann er bzw. sie einem dann wieder am Ausgangs-punkt abholen soll. Preis pro Person 200 Pesos (ca. SFr. 14.00 /Euro 13.50). Etwas teurer, aber immer noch viel günstiger als eine geführte Tour ist, sich in Ushuaia ein Taxi zu nehmen.

Wir decken uns in der Stadt noch mit etwas Proviant ein und lassen uns dann um 13.00 Uhr vor unserem Hotel abholen. In einem Bus, der sicher 20 Passagieren Platz bieten würde, sind Marion und ich auf der ganzen Hin- wie auch am Abend auf der Rückfahrt die einzigen Gäste. Die Fahrt dauert rund 20 Minuten. Beim Parkplatz vor dem Valle de Lobos zeigt uns unsere Fahrerin den Einstieg zur Wanderung. Der Wanderweg ist mit verschiedenen Farben und Tafeln so gut mar-kiert, dass man sich auf keinen Fall verirren kann. Zuerst geht es durch einen dichten Wald, dann über eine Rietwiese, wo links und rechts Bäche fliessen und Biber diese an verschiedenen Stellen zu richtigen Seen gestaut haben. Am Rande der Seelein und Bäche haben Biber ganze Arbeit geleistet. Überall liegen abgestorbene Bäume herum. Baumstümpfe und durchgenagte Baum-stämme weisen die für Biber typischen Kerbspuren auf. Ein Blick aufs Wasser zeigt, wo letztlich das geschlagene Holz landet und wofür es benötigt wird (s. Fotoalbum). Nur die Biber zeigen sich nicht. Dafür sind wir wahrscheinlich auch schon etwas spät am Tag unterwegs.

Dafür treffen wir hier auf eine holländische Hundetrainerin vom Valle de Lobos. Sie arbeite seit einem halben Jahr im Valle de Lobos als Hundetrainerin mit Junghunden und als Wanderführerin, sagt sie uns. Die Holländerin ist mit etwa zwanzig jungen und halbwüchsigen Schlittenhunden unterwegs (s. Foto Fotoalbum). Die Hunde tollen herum, jagen hintereinander her und kommen wieder zurück. Einen Überblick über die Zahl der Hunde die sie dabeihat, hat sie nicht. Doch die Hunde kämen immer wieder alle zurück, meint die sympathische Holländerin. Ich frage mich, wie will sie denn das wissen, wenn sie schon keinen Überblick über die Zahl ihrer Hunde hat? Ob die Hunde so ohne Leine denn nicht jagen würden, wollte ich wissen. Das wisse sie nicht so genau, gibt sie offen zu. Grosswild sicher keines, meint sie. Die Guanacos würden höher in den Bergen leben und Rehe und Hirsche gebe es hier keine (Anmerkung: vermutlich keine mehr!). Gleichzeitig fügt sie an, einmal habe einer ihrer Hunde einen Biberschwanz zurückgebracht. Jetzt ist mir auch klar, wieso wir hier keine Biber zu Gesicht bekommen. Wir verabschieden uns und wandern weiter.

Nach einem weiteren Stück Wald verlassen wir diesen endgültig. Es wird matschig, moorig, mo-rastig und sumpfig. Der Weg ist zwar gut markiert. Doch sehr oft müssen wir einen weiten Bogen machen, wollen wir nicht einen Schuh voll rausziehen. Einem Bach, genau genommen dem Aus-fluss der Laguna Esmeralda entlang, steigen wir etwa hundert Höhenmeter immer leicht bergauf. Stets mit einem herrlichen Gebirgspanorama vor Augen. Nach knapp zwei Stunden erreichen wir ihn, den türkisblauen Gletschersee. Er dürfte etwa Dreiviertel der Grösse unseres Rotsees haben. Nach einem späten Mittagessen umrunden wir den See; beobachten zwei Magellangänse am oberen Ende des Sees und schiessen einige Fotos. Dann heisst es auf dem gleichen Weg, den wir gekommen sind, zurückkehren. Um 17.30 Uhr erwartet uns unsere Busfahrerin wieder am Park-platz beim Valle de Lobos. Angegeben wird die Wanderung mit drei Stunden. Wenn man wie wir den See umrundet und ausgiebige Pausen macht, benötigt man insgesamt maximal vier Stunden. Das Schöne ist, wir befinden uns hier bereits so weit südlich, dass zwischen Sonnenauf- und Son-nenuntergang 17 Stunden liegen. Erst nachts, kurz vor 22 Uhr verschwindet die Sonne hinter den Bergen. Und selbst dann bleibt es noch lange hell. So kann man im Sommer auf Feuerland getrost auch noch nachmittags zu einer Wanderung aufbrechen. Selbst Geschäfte sind in Ushuaia abends um 20 Uhr noch geöffnet.

Am Abend buchen wir in einem Reisebüro für den 16. Dezember – das ist der Tag, an dem wir von der Antarktis zurückkehren - einen Weiterflug nach El Calafate (Argentinien). Es gibt auch Busse nach El Calafate. Doch die Busreise dauert rund 18 Stunden. Vor 25 Jahren, als wir auf unsere erste Weltreise aufgebrochen sind, hätten wir um ein paar Pesos und eine Übernachtung sparen zu können, uns diese lange Fahrerei noch angetan. Doch heute kostet uns dieser Inland-flug von etwas mehr als einer Stunde nur gerade SFr. 100.00 pro Person. Bei dem Preis schauen wir uns die Buspreise gar nicht erst an.

28. Nov, 2016

Brief an eine kleine Freundin

Liebe Canelita

In der Plastikschüssel, die Du bereits kennst, haben wir Dir auf der Veranda noch etwas Futter bereitgestellt. Es ist nicht viel. Es ist der Rest, den wir noch übrighatten. Ich bin sicher, Du hast das Futter längst entdeckt und es herzhaft gefressen. So, wie immer, wenn Du uns am Morgen oder am Abend nach unserer Rückkehr von unseren Ausflügen be-sucht hast. Du hattest immer einen guten Appetit. Oder ganz einfach hunger!

Doch wenn Du heute auf die Veranda kommst um uns zu besuchen, dann wird unsere Zimmertüre verschlossen sein oder es wohnen bereits andere Leute da. Es nützt nichts! Selbst wenn Du Dich stundenlang vor unsere Türe legst und wartest. Es bringt auch nichts, wenn Du leise jaulst oder bellst. Wir sind nicht mehr da und kommen nicht mehr zurück.

Heute in der Früh sind wir Richtung Süden weitergezogen. Leider konnten wir Dich nicht mitnehmen. Wir hätten es so gerne getan. Und gestern abend hätten wir beinahe noch eine Dummheit gemacht. Claudia eine der beiden netten Damen vom Paradise, hat uns ein gutes Hundeheim in Puerto Madryn vermittelt. Mit ihrer Hilfe habe ich mich mit dem Hundeheim bereits telefonisch in Verbindung gesetzt. Man hätte Dich sofort aufgenommen und sich dort so lange um Dich gekümmert, Dich gefüttert, Dich gepflegt, Dir ein zu Hause gegeben und man wäre mit Dir spazieren-gegangen, bis wir Ende April wieder zurück in der Schweiz sind. Dann hätte man Dich in ein Flugzeug gesetzt und uns in die Schweiz geschickt. Claudia hätte Dich eine Stunde nach dem Telefonanruf mitgenommen, Dich ins Hundeheim gebracht und das Geld, das wir ihr für die fünf Monate mitgeben wollten, dem Claudio Costa und seiner Frau Eliana Hoffmann vom Hundeheim gebracht. Diese hätten dann gut zu Dir ge-schaut und Claudia hätte uns regelmässig Fotos von Dir geschickt. Doch dann kam alles anders!

Dein Besitzer – den Namen kennen wir nicht und das ist auch nicht so wichtig – hat Dich mit seinem Auto vor dem Paradise abgeholt und Dich an den Strand gefahren. Wir – Marion und ich – sind Euch an den Strand gefolgt und geschaut, wo Du Dich aufhältst. Du liefst am Strand auf und ab. Ein Stück entfernt von Deinem Besitzer und seiner Frau. Wir gingen ebenfalls am Strand spazieren. Gleichzeitig haben wir Dich bewusst ignoriert um zu sehen, was passiert. Doch als Du uns entdeckt hast, wolltest Du nur noch bei uns sein und mit uns ziehen. Das Rufen Deines Besitzers half nichts. Du hast Dich nicht einmal umgedreht. Nichts, aber auch gar nichts. Du hast uns einfach angeschaut und bist mit uns weitergelaufen. Nachdem sein Rufen erfolglos war, kam er langsam hinter uns her. Wir waren mindestens 400 Meter voraus. Schliesslich kehrten wir um. Und Du mit uns. Wir redeten kein Wort mit Dir. Wir liefen Deinem Besitzer entgegen. Als wir ihn erreichten sprach ich ganz wenige Worte auf Spanisch mit ihm. Er konnte kein Englisch. Wir liessen uns nichts anmerken, dass wir Dich bereits kannten, Dich all’ die letzten Tage gefüttert, mit Dir gespielt, Dich gekrault und einfach gute Tage mit Dir verbracht hatten. Er sagte uns, dass Du Canela heisst und ungefähr ein Jahr alt bist. Und, dass sich zwei Schweizer für ihren Hund interessieren würden. Das war es also!

Du musst wissen, es setzen sich bereits mehrere Personen vom Paradise für Dich ein, damit Du eine bessere Zukunft bekommst. Zwei von ihnen waren vorgestern bei Deinen Besitzern und haben sie gebeten, sie mögen uns - eben diesem Paar aus der Schweiz – ihren Hund freigeben, bzw. verkaufen. In diesem einen Tag vor unserer Abreise konnte sich die Familie jedoch offensichtlich nicht entscheiden. Es gab weder ein Ja noch ein Nein.

Gestern abend haben Dich Deine Besitzer mit deren Autos noch zweimal vom Para-dise abgeholt. Du bist artig eingestiegen. Doch kaum haben sie Dich zu Hause – zum Glück nur ein paar Blocks entfernt – abgeliefert, bist Du wieder schwanzwedelnd zu uns zurückgerannt. Du wolltest in unserer Nähe sein. So, wie wir in Deiner. Wir ge-hören einfach zusammen! Dies mussten Deine Besitzer in den letzten zwei Tagen bestimmt mehrfach beobachtet haben. Das ist uns mittlerweile klar.

Nun sind wir also abgereist. Claudia und Selva - die beiden netten Damen vom Para-dise - sie haben uns versprochen sich weiter um Dich zu kümmern und ihre schützen-den Hände über Dir auszubreiten. Sie werden sich auch künftig dafür einsetzen, dass Du zu uns in die Schweiz kommen kannst. Vielleicht würden sie Dich sogar persönlich begleiten und dann bei uns einigeTage Ferien verbringen. Jedenfalls werden Claudia und Selva auch in nächster Zeit das Gespräch mit Deinen Besitzern suchen. Sie wollen Dich freikaufen. Und sollte ihnen dies nicht gelingen, jedoch feststellen, dass Dich Deine Besitzer vernachlässigen, Dich nicht füttern, nicht pflegen und Dich weiterhin einfach Deinem Schicksal der Strasse überlassen, werden sie den örtlichen Tierschutz einschalten, damit dieser Dich ihnen wegnimmt. Das haben sie uns versprochen. Die Freigabe Deiner Besitzer oder das Einschreiten des Tierschutzes sind leider die einzigen beiden legalen Möglichkeiten, damit Du zu uns in die Schweiz kommen kannst.

Bis dahin, pass’ auf Dich auf, liebe Canelita. Bleib gesund und geh’ mit Deinen Dorf-kumpanen nicht zum Wildern. Das kann ganz böse enden! Friss’ nichts von der Strasse oder Sachen, die Du nicht kennst. Und wenn Dich Dein Hunger plagt, dann geh’ zum Paradise; geh’ zu Claudia oder Selva. Die geben Dir zu fressen und zu trinken. Und wenn das nicht reichen sollte, dann schicken wir Geld, damit sie Dir Futter kaufen können.

Liebe Canelita. Dies ist kein Abschiedsbrief. Denn ich bin mir sicher, wir sehen uns wieder.

Dein Pate

Daniel