Canelita
Eigentlich heisst sie Canela, (zu deutsch: Zimt). Doch rufen tun sie die Angestellten im The Paradise mit Canelita (Zimtchen).
Canelita gehört zu den Dorfhunden und damit gewissermassen auch zum Dorfbild von Puerto Pyrámides. Obwohl Canelita, so wie die meis-ten der Hunde hier einen Besitzer, bzw. eine Besitzerin hat, lebt die zierliche Hündin mehr-heitlich auf der Strasse. Ihr Fressen muss sich Canelita zusammenbetteln, sofern sie sich nicht einen Happen Küchenabfälle von einem der Restaurants ergattern kann. Die Besitzerin des Paradise habe ein Herz für Hunde, sagt man uns. Sie füttere und pflege regelmässig Strassenhunde. Dies ist augenfällig. Hat es doch rund ums Paradise besonders viele «herrenlose» Hunde.
Dann gibt es auch noch Gäste, wie wir, welche sich nach Puerto Pyrámides verirrt haben; ein paar Tage bleiben und sich in dieser Zeit um den einen oder anderen Hund annehmen. So kommt es, wie es kommen musste. Nach unserer ersten Nacht in Puerto Pyrámides setzen wir uns gemütlich zum Frühstück. Die Türen des Paradise-Restaurants sind offen. Canelita kommt herein, setzt sich zu uns und schaut uns mit grossen Augen an. Zuerst halte ich ihr die leere Hand hin. Sie schnüffelt und leckt daran. Dann lässt sie sich herzhaft kraulen. Gleichzeitig bleibt ihr Blick stets auf unseren Tisch gerichtet. Sie läuft uns nach – zum Frühstücksbuffet und wieder zurück zum Tisch. Gebe ihr ein Wenig von meinem Stück Zitronenkuchen. Ich weiss, dies macht man nicht. Man füttert keinen Hund vom Tisch - schon gar nicht im Restaurant und noch weniger mit gesüssten Sachen. Ich breche wieder mal alle Regeln artgerechter Hundehaltung. Doch das stört Canelita nicht im geringsten. Sie frisst den Kuchen, dann schaut sie mich wieder an, ob es vielleicht noch mehr davon gibt. Vielleicht gibt es ja auch noch etwas Besseres.
Jetzt wird es etwas kompliziert. Beim Frühstücksbuffet gibt es geschnittenen Schinken. Eigentlich wollte ich zum Frühstück gar keinen Schinken essen. Doch das weiss hier ja keiner. Abgesehen davon, im Restaurant sitzen ausser Marion und ich praktisch keine Leute. Also hole ich ein paar Scheiben Schinken an unseren Tisch. Canelita, von der wir bis anhin noch gar nicht wissen, wie sie heisst, streckt ihre Nase senkrecht in die Höhe. Sie wedelt und bettelt. Und was mache ich? Halte Ausschau, ob uns niemand beobachtet. Dann gebe ich einem bettelnden Hund, am Tisch, im Restaurant einen kleinen Happen Schinken (hundeerzieherisch wieder mal falsch. Und Schinken ist für Hunde auch nicht unbedingt das Beste). Jetzt haben wir sie – unsere Canelita. Eine Freund-schaft nur auf Zeit oder vielleicht sogar auf Dauer?
Die kommenden fünf Tage verbringen wir soviel Zeit mit Canelita, wie wir nur können. Wir kaufen in einem der kleinen Tante-Emma-Läden von Puerto Pyrámides artgerechtes Hundefutter. Mor-gens, wenn wir aufstehen, kommt uns Canelita auf unserer Veranda begrüssen, will in unser Zimmer und gefüttert werden. Dann lässt sie sich ausgiebig kraulen und ein paar Zecken entfer-nen; will etwas schmusen und spielen und legt sich dann auf einem provisorisch hergerichteten Bettchen am Boden – unser rauhfasriger Bettüberwurf muss dafür herhalten - nieder und schläft selig. Auf unsere Erkundungstouren im Park können wir Canelita leider nicht mitnehmen. Sie bleibt auf dem Parkplatz zurück; schaut unserem Auto lange nach und geht dann ihre eigenen Wege. Kurz nachdem wir am Abend wieder zurück sind, kommt Canelita freudig angerannt; will wieder gefüttert und gekrault werden; legt sich dann halb auf meine Füsse und schläft wieder selig ein. An keinem der Tage macht Canelita Anstalten zu gehen. Manchmal verlässt sie zwar kurz unser Zimmer, das wir stets einen Spaltweit offenlassen; geht auf die Strasse; springt ein paar anderen Hunden hintennach oder geht vermutlich ihr Geschäft verrichten. Ein paar Minuten später ist sie wieder bei uns; legt sich auf ihr Bettchen und schläft.
Und jetzt kommt der kompliziertes Teil der Geschichte. Marion und ich, wir möchten Canelita gerne zu uns in die Schweiz holen. Aber wie sollen wir dies anstellen? Wissen wir doch noch nicht, wer Canelitas Besitzer ist und ob er oder sie uns Canelita verkaufen würde. Und die nächsten fünf Monate unserer Weltreise kann uns Canelita auch nicht begleiten. Also bräuchten wir auch noch jemanden in Puerto Pyrámides der uns hilft, uns Canelita Ende April in die Schweiz zu schicken.
Letzteres konnten wir gestern abend klären. Angestellte des Paradise, zwei nette Damen, welche beide recht gut englisch sprechen, wollen uns unbedingt helfen. Zum einen kennen sie Canelitas Besitzerin und zum anderen wären sie besorgt dafür, dass Canelita Ende April den Weg in die Schweiz findet. Eine, namens Selva (zu deutsch: Dschungel) ist selber Hundehalterin. Selva aner-bietet sich spontan, Canelita nach Buenos Aires zu fahren um sie dort auf einen Direktflug nach Zürich zu geben. Auch würde sie sich bis Ende April um Canelita kümmern. Wir tauschen schon mal unsere E-Mail-Adressen aus.
Doch das nützt uns natürlich Alles herzlich wenig, wenn wir die Besitzer von Canelita nicht dazu bewegen können, sich von ihrem Hund zu trennen. Diesbezüglich legt sich nun die andere Paradise-Angestellte ins Zeug. Beide Damen sind überzeugt, Canelita würde es bei uns in der Schweiz zehnmal besser haben, als hier in Puerto Pyrámides. Sie erzählen uns, dass viele der Dorfhunde um zu überleben wildern müssten. So würden Hunde auf den umliegenden Farmen der Halbinsel immer wieder Schafe reissen. Wogegen sich die Farmer mit vergiftetem Fleisch zur Wehr setzen täten, sagen sie uns. Dabei kämen regelmässig Hunde ums Leben. Mit Blick auf Canelita bereitet dies den beiden Frauen grosse Sorgen. Also wünschen sie sich genauso sehnlichst wie wir, dass wir die kleine, süsse Hündin in die Schweiz nehmen.
Mal schauen was aus dieser Hundefreundschaft noch wird. Morgen ziehen wir weiter. Die Kontakte stehen. Und nach der Antarktis gehen wir auf dem Landweg nach Chile. Dabei müssen wir via San Carlos de Bariloche (Argentinien) reisen. Und San Carlos de Bariloche liegt ganz in der Nähe der Halbinsel Valdés. Wieso nicht um die Weihnachtszeit für einen Hund, den wir uns ins Herz geschlossen haben, noch einmal einen Abstecher nach Puerto Pyrámides machen? Selva weiss bereits Bescheid.