Auf die nächsten beiden Tage freuen wir uns ganz besonders. Denn das sind wieder einmal Tage für Naturliebhaber und Fotografen. Mit unserem privaten Reiseführer und einem
Fahrer machen wir uns heute morgen auf die fünfstündige Fahrt zum Namtso-See. Der See liegt auf einer Höhe von 4'718 Metern über Meer. Mit einer Fläche von 1'920 Quadratkilometern – einer Länge von etwa 70 Kilometern
und einer Breite von 30 Kilometern – macht der Namtso fast 5% der Fläche der Schweiz aus. Laut unserem Reiseführer soll der Namtso der höchstgelegene See der Welt und der zweitgrösste Salzsee Chinas sein.
Von Lhasa aus fahren wir zuerst 163 Kilometer in Richtung Damzhung, parallel zur Qinghai-Tibet-Bahn, mit der wir am 28./29. September von Xining her angereist sind. Auf halbem Weg kommt uns ein Konvoi von ungefähr
100 grossen Militärlastwagen, sowie mehreren Panzerfahrzeugen entgegen, welcher sich in Richtung Lhasa bewegt. Bis zum Ort Damzhung befinden wir uns auf einer Hochebene, welche auf einer mittleren Höhe von etwa 4'400 Metern liegt.
Nachdem wir uns die letzten Tage in Lhasa recht gut akklimatisieren konnten, stellt für uns diese Höhe kein Problem dar. Abgesehen davon, müssen wir uns vorerst ja auch
nicht bewegen. Bei Damzhung verlassen wir schliesslich das Haupttal und die Qinghai-Tibet-Strecke und zweigen ab in Richtung Norden. Kurz nach Damzhung erreichen wir einen Polizei-Checkpoint, sowie einen Ticketschalter, wo unser Führer den Eintritt zum
Namtso löst und unsere sämtlichen Papiere vorweisen muss. Dann steigt die Strasse kontinuierlich an. Links und rechts der Strasse weiden Yaks auf den kargen und in dieser Jahreszeit bereits schon fast kahlen Hängen.
Wir haben wieder einmal einen Fahrer, der ziemlich Gas gibt; d.h. schnell, aber nicht besonders gut fährt; meist erst in den Kurven bremst, wenn er merkt, dass er zu schnell unterwegs ist und dafür
bereits in den Kurven seinen Geländewagen wieder beschleunigt, um so fast alle Fahrzeuge überholen zu können, die es zu «fressen» gibt. Kommt uns aus der Mongolei irgendwie bereits bekannt vor. Doch dieser Fahrstil beeindruckt uns
nicht mehr besonders. Schliesslich fahren die meisten Chinesen und im Besonderen auch die Tibeter - etwas nett ausgedrückt – sehr speziell. So wird slalomartig links und rechts überholt; mehrspurig nebeneinander gefahren, wo eigentlich nur
eine Fahrspur wäre; gehupt und Gas gegeben, was das Zeug hält und Fussgängern, selbst wenn diese auf Fussgängerstreifen gehen und deren Ampel auf Grün zeigt, deren Vortritt genommen, weil rechts abbiegen in China bei jeder Signalisation
immer erlaubt ist. Wer in China überleben will, beherzigt am besten: die Masse ist Alles – das Individuum Nichts und der Stärkere hat immer Vortritt. So wird man als Fussgänger auf Chinas Strassen regelrecht zum Treibwild. Ein
kluger Fussgänger, der nicht überfahren werden will, tut also gut daran, bei verkehrsreichen Strassen trotz Grünphase und offiziellem Vortritt, entweder minutenlang auf ein sich abzeichnendes Loch im Verkehrsfluss zu warten oder dann mit Gott
– oder hier besser mit Buddha - vor Augen über die Strasse zu rennen. Doch Beides ist hier definitiv lebensgefährlich.
Also fahren, bzw. fliegen wir mit unserem Fahrer in Richtung Namtso-See. Gegen Mittag erreichen wir den 5'150 Meter hohen Pass Lhachen La. Dort machen wir einen kurzen Fotostopp. Marion und ich steigen noch 100 Meter höher.
Auf 5'250 Metern ist dann aber Schluss. Schwindel, Kopfschmerzen, schneller Puls und Kurzatmigkeit sagen uns, das ist definitiv nicht mehr unsere Welt. Also steigen wir hinunter und lassen uns die letzten Kilometer hinunter zum Dorf Tashidor am Namtso fahren.
Die Strecke Damzhung – Tashidor beträgt ca. 74 Kilometer. Bisher hatten wir im Tibet sehr viel Wetterglück mit angenehmen Temperaturen. Tagsüber etwa 15 bis 18 und in Lhasa nachts etwa 5 Grad. Für die beiden Tage am Namtso ist (wäre)
grundsätzlich auch recht gutes und trockenes Wetter angesagt. Nur leider verschlechtert sich der Himmel zusehends. Als wir in unserem äusserst einfachen Gästehaus, direkt am Namtso ankommen, verdunkelt sich der Himmel. Gewitterregen ist angesagt.
Wir essen noch kurz zu Mittag und machen uns dann auf den Weg an den Strand. Auch ohne viel Sonne, ist die Licht- und Wolkenstimmung – besonders für Fotografen und Liebhaber von Gewittern – einzigartig (s. Foto). Auf dieser Höhe von knapp
4'800 Metern fühle ich mich, bzw. fühlen wir uns nicht mehr besonders wohl. Dieser einfache, etwa einstündige Strandspaziergang kostet uns sehr viel Kraft. Ich habe das Gefühl, ich bewege mich im Zeitlupentempo. Leichte Kopfschmerzen und
etwas Appetitlosigkeit stellen sich ein. Beim Abendessen sehen wir bereits die ersten «Flachlandchinesen», welche über diese Feiertage vom Tiefland in den Tibet reisen und den Namtso-See besuchen, an Sauerstoffgeräten hangen. Denke mir,
die sind wohl etwas zu schnell in die Höhe gestiegen.
Übrigens: China feiert jeweils am 1. Oktober seinen Unabhängigkeitstag. Und dies tun die Chinesen, welche
das Jahr hindurch in der Regel sehr wenig Ferien und Freitage haben, in der ersten Oktoberwoche gleich eine ganze Woche lang. Als Tourist sollte man diese Oktoberwoche meiden und keine Reise durch oder Ferien in China planen. Denn in dieser ersten Oktoberwoche
ist halb China auf den Beinen. Bei 1,3 Milliarden Menschen ist dies doch ziemlich viel. Wir sind froh, dass wir diese Zeit mehrheitlich im Tibet verbringen. Dort ist der Andrang chinesischer Touristen, wie man uns im Vorfeld schon sagte, weit weniger gross,
als in anderen Regionen Chinas.
Doch viel essen wir heute abend nicht. Nicht nur spazieren,
sondern auch essen, kann ganz schön anstrengend sein. Und erst schlafen! Meine Pumpe arbeitet auf Hochtouren. Der Kopf schmerzt und der Ruhepuls hat mit Ruhe nicht mehr viel gemein.